Raz Blanchard oder Alderney Race


Der Wetterbericht versprach einmal mehr sehr kräftige westliche Winde, und da wir nach wie vor nicht mit Gewalt und Motor dagegen anbolzen wollten, standen wieder ein paar Hafentage auf dem Programm. Aber Le Havre als zweitgrößter Hafen Frankreichs nach Marseille und fünftgrößter Hafen Europas bietet ja genügend Abwechslung und Sehenswürdigkeiten.

Da der französische Nationalfeiertag am 14. Juli genau in unseren Aufenthalt fiel, hatten wir für das abendliche Feuerwerk, angeblich das zweitschönste nach Paris (wobei das vermutlich jede Stadt in Frankreich für sich reklamiert 😉), im Hafen einen Platz in der ersten Reihe. Sehenswert ist die Kirche St. Joseph mit ihrem beeindruckenden Turm. Eine sehr nette Bar, Le Bout du Monde, am Ende der Strandpromenade, bietet Gelegenheit zur Muße „am Ende der Welt“. Auch die Gezeiten sind durchaus mächtig und verändern das Aussehen der Küste und des Hafens alle sechs Stunden durch den großen Tidenhub von über sechs Metern.

Am 17. Juli wurde unsere Geduld dann endlich belohnt und es tat sich das nächste brauchbare Wetterfenster auf. Wir beschlossen die erste Nachtfahrt und starteten morgens mit einer langen Kreuz von Le Havre aus in Richtung Saint-Vaast-La-Hogue. An Saint-Vaast und Barfleur vorbei kreuzten wir um das Cap Levi herum und bogen ab nach Westen in Richtung Cherbourg. Der Hafen von Cherbourg war leider wegen des Fastnet Race für Passanten gesperrt, die Liegeplätze waren für die Teilnehmer der Regatta reserviert. Deshalb ließen wir Cherbourg links liegen, was vielleicht auch besser war, da eine nächtliche Ansteuerung bei dem ganzen Lichtermeer bestimmt nicht einfach gewesen wäre. Der Weg führte uns weiter Richtung Westen zum Cap de La Hague.

Enge und schwierige Passagen an der englischen und französischen Küste werden als Race, Chenal oder Raz bezeichnet. In der Regel herrschen hier, ausgelöst duch niedrige Wassertiefen, enge Fahrwasser und Felsen unter Wasser komplexe und je nach Tide auch gefährliche Strömungsverhältnisse. Verstärkt werden kann das noch durch kurze, steile und brechende Wellen, die alle sechs Stunden entstehen, wenn Wind und Strom in entgegengesetzte Richtung laufen. Weiterhin treten noch Strömungswirbel, sogenannte Eddies, auf. Am Cap de La Hague beginnt zwischen der französischen Küste und der Insel Alderney eines der berühmtesten bzw. berüchtigsten Raz, das Raz Blanchard oder auch Alderney Race. Das Raz Blanchard zählt zu den schwierigsten Passagen im Ärmelkanal, in Abhängigkeit von der Tide könne hier Strömungen von bis zu 12 Knoten Geschwindigkeit auftreten. Falls wir zum falschen Zeitpunkt am Race ankämen, würde der Strom gegen uns arbeiten und wir selbst bei Vollgas über den Grund noch rückwärts fahren, wir kämen gegen den Strom nicht an! Keine einfache Sache, und das dann auch noch bei Springtide, bei Nacht morgens um drei Uhr und Neumond. Also perfekte Voraussetzungen für maximales Strömungs- und Wellenchaos. Mit großem Respekt entschieden wir uns deshalb für einen kleinen Umweg und beschlossen, das Race und die Insel Alderney nördlich zu umfahren. Aber das Raz war gar nicht damit einverstanden, die starke Strömung versuchte eine ganze Weile, uns mitzuziehen. Für navigatorisch Interessierte: teilweise mussten wir, um über Grund 270 Grad zu fahren, bei 6 Knoten Geschwindigkeit durchs Wasser einen Kompasskurs von 010 Grad steuern – sehr beeindruckend! Nach einer knappen Stunde war der Spuk vorbei, und als Belohnung für die ganze Aufregung wurden wir beim ersten Tageslicht zwischen Alderney und Guernsey von einer Schule von ca. zehn Delfinen begrüßt, die die windhexe über eine Stunde begleitet und mit dem Boot gespielt haben.

Leider sind uns anders als als in der Bretagne oder vor Norwegen vor der deutschen Nordseeküste seit einigen Jahren keine Delfine und Tümmler mehr begegnet. Hängt dies vielleicht mit den in der deutschen Bucht massenweise gebauten Offshore Windparks zusammen?

Westlich von Guernsey ließ uns der Wind dann leider im Stich, und wir nahmen unter Motor Kurs auf Lezardrieux. Im Wasser trieben von Zeit zu Zeit Algenfelder, die sich immer wieder an Kiel und Ruder verfangen haben. Als das Schiff dadurch langsamer wurde, mussten wir stoppen und rückwärts fahren, um uns von dem „Bremsfallschirm“ wieder zu befreien. Lezardrieux liegt an einer kleinen, schmalen Bucht, vergleichbar vielleicht mit den Fjorden in Dänemark. Die Ansteuerung ist einfach, aber man muss in der Einfahrt auf den tidenabhängigen Querstrom mit bis zu drei Knoten achten und natürlich auf die Wassertiefe! Zum Schluss erreicht man als Belohnung einen gemütlichen kleinen Hafen mit sehr freundlichen und vor allem hilfreichen Hafenmeistern, die beim Anlegen helfen. Dies ist auch notwendig, da die Stömung leider auch durch den Passantenhafen strömt und beim Anlegen stört.


7 Antworten zu “Raz Blanchard oder Alderney Race”

  1. Ihr Lieben,
    bin durch Zufall auf Euren Bericht gestoßen. Habe ein wenig Fernweh! Alderney war vor ca. 30 Jahren mein erster Törn als Segelneuling. Brauchte Seemeilen für den damaligen BR-Schein. Ich kümmerte mich an Bord um die Navi. Von St. Malo über Guernsey-St.Peter port nach Alderney im November und Einlaufen Nachts an eine Mooring kurz festgemacht. Bei keinem Wind nur Regen . Beeindruckend das Algenleuchten, die starken Strömungen, damals noch navigiert mit Springverspätung und Looran Deka. GPS kam später.
    Möchte noch viel mehr schreiben, aber die Sehnsucht…

    Liebe Grüße und noch viele Segelerlebnisse

    Reinhold

    • Hallo Reinhold,
      danke für deine Alderney-Erinnerungen. Ohne GPS mit Loran Deka sind die Kanalinseln bestimmt eine noch größere Herausforderung!
      LG, Peter

      • Hallo Peter,
        danke für die Antwort. Habe noch ein wenig in Euren Reisen gestöbert, und muss feststellen, dass ich nach meinem kurz beschriebenen ersten Törn, in vielen Gebieten, wo Ihr auch ward, auch gewesen bin. Biscayaüberquerung von Les sables d’olonne nach Coruna, westschwedische Schären, mehrmals Kanalinseln, Bretonische Küste, etc. Schön waren auch die Scilly Iles.

        Gruss
        Reinhold

  2. Klasse Reiseberichte und Fotos! … bin somit quasi gedanklich und bildlich bei Euch 🙂
    Auch der Positionstracker ist super.
    Freue mich auf weitere spannende Berichte.
    LG, Thomas

  3. Hallo Peter,
    jetzt hatte ich an einem gemütlichen Samstag die Gelegenheit eure ersten Reiseberichte zu lesen. Klingt wirklich sehr beeindruckend und Erlebnis reich.
    Delfine sind eines meiner liebsten Meerestiere und es ist immer etwas besonderes diese Tiere in ihrem Lebensraum zu erleben.

    • Hallo Meike,
      ja, Delfine sind immer ein Highlight beim Segeln, gestern konnten wir sie auch mehrfach wieder sehen 🐬
      LG, Peter

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